Mein Herze schwimmt im Blut. Sechster Gesang
Ich, dein betrübtes Kind, werf alle meine Sünd, so viel ihr in mir stecken und mich so heftig schrecken, in deine tiefen Wunden, da ich stets Heil gefunden. (Johann Sebastian Bach, Mein Herze schwimmt im Blut. BWV 199. Choral)
Element of Crime, Wenn der Morgen graut
Ach, was das doch für ein komisches und verschrobenes Ding ist, so ein zerdeppertes und kaputtgeprügeltes kleines Leben! Da will es einem davonlaufen, ins Jenseits hinüber beherzt den Sprung machen, weil doch auch so gar kein Geld da ist für den Fährmann, und so geschwinde bewegt es sich fort, dass man mit dem Sterben bald gar nicht mehr hinterherkommen mag, und auf einmal steht es ganz stumm und ganz bleich und ganz bedauernswert mitten auf dem Weg und verlangt zu rasten. Ja, hat man denn so etwas schon einmal gehört?
Ganz verständnislos fasst man es dann bei der Schulter an und will erfahren, welche Grillenhaftigkeit denn nun da wieder in es gefahren sei, dass man doch lange genug und in solcher Ausführlichkeit über die bevorstehende Verablebung gesprochen habe, die selbst einen Notar das Fürchten zu lehren allerbeste Anlagen hat, dass doch schließlich auch alle Anverwandten und sonstigen Nächsten davon in Kenntnis gesetzt seien, sie möchten, man bitte doch sehr, für ein liebendes Andenken aufkommen, dem Pfaffen am Grabe recht schnell das Wort abschneiden und nicht allzusehr sich grämen, wenn sie im letzten Willen nur mit ein paar kümmerlichen Resten bedacht würden - es kämen diese ja wirklich von Herzen - und dann bleibt dies beschissne kleine Ding einfach stehen und weist nach der Bank und dem Brunnen, dort hinten bei dem Baume und der kleinen Kapelle. Es ließe sich in seinem Schatten doch sicherlich wunderbar rasten, immerhin schmerzten die Füße im Mindesten so sehr wie die Seele, und überdies wäre man durstig und ein kühler Trunk käme doch da so gelegen wie nur irgendetwas, das müsse man nun schon zugeben, man habe ja auch einen wirklich garstig großen Teil der Strecke hinüber zu den Ewigen schon hinter sich gebracht, ohne auch nur ein einziges Mal Einkehr zu halten oder sich wenigstens für eine kleine Weile in das Moos am Wegesrand zu betten. Zumal jetzt auch ein guter Zeitpunkt sei, die Beichte vor dem Herrn abzulegen, welcher man sich bislang gar schändlich und verbissen entzogen habe.
Mit allem hat man sich abgefunden, ernsthaft mit allem. Vor der Zeit zu Tode gewürgt mit bloßen Händen und beerdigt hat man jedes noch so kleine Träumchen und mit viel Tränen und viel Geschrei hat man jedesmal am Grab gestanden mit seiner traurigen roten Rose. Drangegeben all die Dinge, die einem einmal etwas bedeutet haben. Eine schockierend grässliche Bilanz hat man aufgestellt, nichts ausgelassen, nichts verbogen, nichts verschoben noch geschönt und einzig den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ist man treu geblieben für diesen allerletzten Bericht, nachdem man sonst alles und jeden belogen und betrogen hat. Jeder noch so kleine Posten ein Schauermärchen für sich. Jeder einzelne Beleg ein Tritt in die Magengrube. Alles zusammen ein erschütterndes Dokument und bedrückende Antwort auf die Frage, wie es denn nur so weit kommen konnte. Hunderttausend glühend heiße Nadeln hat man sich selbst mit quälender Langsamkeit unter die Fingernägel geschoben. Viele und bitterste Tränen geweint um jede ausgeschlagene Gelegenheit, um jede sinnlos vertrödelte Sekunde, um jede nicht genommene dargereichte Hand. Aber am Ende hat man eben doch mit dem Kopf genickt und eingesehen, dass es so nicht mehr weitergeht, dass alle Auswege versperrt sind, alle Türen eigenhändig zugemauert wurden. Dass es das nun eben war mit der Burschenherrlichkeit. Dass da nichts mehr nachkommt. Dass ein Ende gemacht werden muss.
Wenn einem das alles so sehr bewusst ist und die Dinge zu Ende entschieden sind, dann kann auch so ein kleines Leben nicht einfach hergehen und trotzig mit dem Füßchen aufstampfen, nur weil vielleicht gerade ein besonders schönes Baumgrün und ein fröhlich plätscherndes Brünnlein zur Rast locken. Das hätte es sich vorher überlegen müssen, weit vorher. Noch bevor es mit seinem müden Haupt ankam und den Vorschlag für die letzte Reise unterbreitet hat, hätte es sich derlei denken können. Ein bisschen Hirn kann man schließlich schon erwarten und nicht den läppischen Wunsch, man möge sich doch noch einmal umdrehen und rasten, wo doch nur noch ein paar lumpige Tagesmärsche fehlen. Und überhaupt, was soll denn das für ein Dreck sein, jetzt auch noch die Beichte ablegen zu wollen?! Die Sünden wiegen schwer, heißt es, doch leiden kann man nie genug, heißt es auch.
Nein, jetzt will ich nicht mehr, mein liebes kleines Leben, und bist du mir auch noch so sehr ans Herz gewachsen. Das wird jetzt durchgezogen. Wir gehen weiter. Und wenn ich dich vor mir herprügeln muss. So viel Kraft ist noch immer in mir, dass ich dich schon erledigen werde. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.
[Den ersten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den zweiten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den dritten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den vierten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den fünften Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
Element of Crime, Wenn der Morgen graut
Ach, was das doch für ein komisches und verschrobenes Ding ist, so ein zerdeppertes und kaputtgeprügeltes kleines Leben! Da will es einem davonlaufen, ins Jenseits hinüber beherzt den Sprung machen, weil doch auch so gar kein Geld da ist für den Fährmann, und so geschwinde bewegt es sich fort, dass man mit dem Sterben bald gar nicht mehr hinterherkommen mag, und auf einmal steht es ganz stumm und ganz bleich und ganz bedauernswert mitten auf dem Weg und verlangt zu rasten. Ja, hat man denn so etwas schon einmal gehört?
Ganz verständnislos fasst man es dann bei der Schulter an und will erfahren, welche Grillenhaftigkeit denn nun da wieder in es gefahren sei, dass man doch lange genug und in solcher Ausführlichkeit über die bevorstehende Verablebung gesprochen habe, die selbst einen Notar das Fürchten zu lehren allerbeste Anlagen hat, dass doch schließlich auch alle Anverwandten und sonstigen Nächsten davon in Kenntnis gesetzt seien, sie möchten, man bitte doch sehr, für ein liebendes Andenken aufkommen, dem Pfaffen am Grabe recht schnell das Wort abschneiden und nicht allzusehr sich grämen, wenn sie im letzten Willen nur mit ein paar kümmerlichen Resten bedacht würden - es kämen diese ja wirklich von Herzen - und dann bleibt dies beschissne kleine Ding einfach stehen und weist nach der Bank und dem Brunnen, dort hinten bei dem Baume und der kleinen Kapelle. Es ließe sich in seinem Schatten doch sicherlich wunderbar rasten, immerhin schmerzten die Füße im Mindesten so sehr wie die Seele, und überdies wäre man durstig und ein kühler Trunk käme doch da so gelegen wie nur irgendetwas, das müsse man nun schon zugeben, man habe ja auch einen wirklich garstig großen Teil der Strecke hinüber zu den Ewigen schon hinter sich gebracht, ohne auch nur ein einziges Mal Einkehr zu halten oder sich wenigstens für eine kleine Weile in das Moos am Wegesrand zu betten. Zumal jetzt auch ein guter Zeitpunkt sei, die Beichte vor dem Herrn abzulegen, welcher man sich bislang gar schändlich und verbissen entzogen habe.
Mit allem hat man sich abgefunden, ernsthaft mit allem. Vor der Zeit zu Tode gewürgt mit bloßen Händen und beerdigt hat man jedes noch so kleine Träumchen und mit viel Tränen und viel Geschrei hat man jedesmal am Grab gestanden mit seiner traurigen roten Rose. Drangegeben all die Dinge, die einem einmal etwas bedeutet haben. Eine schockierend grässliche Bilanz hat man aufgestellt, nichts ausgelassen, nichts verbogen, nichts verschoben noch geschönt und einzig den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ist man treu geblieben für diesen allerletzten Bericht, nachdem man sonst alles und jeden belogen und betrogen hat. Jeder noch so kleine Posten ein Schauermärchen für sich. Jeder einzelne Beleg ein Tritt in die Magengrube. Alles zusammen ein erschütterndes Dokument und bedrückende Antwort auf die Frage, wie es denn nur so weit kommen konnte. Hunderttausend glühend heiße Nadeln hat man sich selbst mit quälender Langsamkeit unter die Fingernägel geschoben. Viele und bitterste Tränen geweint um jede ausgeschlagene Gelegenheit, um jede sinnlos vertrödelte Sekunde, um jede nicht genommene dargereichte Hand. Aber am Ende hat man eben doch mit dem Kopf genickt und eingesehen, dass es so nicht mehr weitergeht, dass alle Auswege versperrt sind, alle Türen eigenhändig zugemauert wurden. Dass es das nun eben war mit der Burschenherrlichkeit. Dass da nichts mehr nachkommt. Dass ein Ende gemacht werden muss.
Wenn einem das alles so sehr bewusst ist und die Dinge zu Ende entschieden sind, dann kann auch so ein kleines Leben nicht einfach hergehen und trotzig mit dem Füßchen aufstampfen, nur weil vielleicht gerade ein besonders schönes Baumgrün und ein fröhlich plätscherndes Brünnlein zur Rast locken. Das hätte es sich vorher überlegen müssen, weit vorher. Noch bevor es mit seinem müden Haupt ankam und den Vorschlag für die letzte Reise unterbreitet hat, hätte es sich derlei denken können. Ein bisschen Hirn kann man schließlich schon erwarten und nicht den läppischen Wunsch, man möge sich doch noch einmal umdrehen und rasten, wo doch nur noch ein paar lumpige Tagesmärsche fehlen. Und überhaupt, was soll denn das für ein Dreck sein, jetzt auch noch die Beichte ablegen zu wollen?! Die Sünden wiegen schwer, heißt es, doch leiden kann man nie genug, heißt es auch.
Nein, jetzt will ich nicht mehr, mein liebes kleines Leben, und bist du mir auch noch so sehr ans Herz gewachsen. Das wird jetzt durchgezogen. Wir gehen weiter. Und wenn ich dich vor mir herprügeln muss. So viel Kraft ist noch immer in mir, dass ich dich schon erledigen werde. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.
[Den ersten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den zweiten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den dritten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den vierten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den fünften Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
rationalstürmer - 12. Apr, 00:30